Die Geschichte des „Helau“

Stand etwa das Halleluja Pate?

Während die Kölner ihren Narrenruf „Kölle alaaf“ sprachgeschichtlich ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen können und ihn als einen frühen Trinkspruch identifiziert haben, tut sich die Forschung bei der Suche nach den Wurzeln des wohl populärsten deutschen Narrenrufs „Helau“ noch immer schwer. Eine Vermutung ist, er könnte vom kirchlichen Lobgesang Halleluja abstammen.

„Hellau und a luckh drau, / Mir ist wohl wie der dicksten Sau“, hieß es 1603 in einem Dokument aus Tirol. Es ist der bislang älteste Beleg für das Wort Helau und vielleicht auch dafür verantwortlich, dass einige den Narrengruß fälschlicherweise noch immer mit doppeltem L schreiben. Gefallen sei der Spruch unter anderem im Rahmen einer Faschingsfeier, doch verifizieren lässt sich das nicht. 

Seitdem wurde immer wieder über die Herkunft des Wortes spekuliert, das klanglich an Kinder- oder Hirtenrufe wie Holla oder Hallo erinnert – auch an das englische Hello, das in jenem ersten Abschnitt des 19. Jahrhunderts Mode wurde, als der Karneval wie in Düsseldorf zu seiner organisierten Form fand. 1833 tauchte das Wort dort bei Erwähnung eines Maskenspiels auf, das die „Verlobung des Hanswursten unter Helau und Habuh mit Anna Dorothea Petronella Weichbusen“ feierte.

Aus Düsseldorf importiert

Mainz, wo man lange Zeit nur „Hoch“ oder in den Sitzungen auch gern „Bravo“ oder „Vivat“ rief, importierte die Helau-Rufe Mitte der 1930er Jahre aus Düsseldorf. „Lange bevor der eigentliche Zug zu sehen war, tauchten in den verschiedenen Straßen phantasievolle Masken auf, die mit lauten Helau-Rufen begrüßt wurden“, notierte eine Lokal­zeitung am 9. Februar 1937. Beim Rosenmontagszug selbst sei der Ruf schließlich aus vielen Tausend Kehlen erschallt.

Seitdem ist Helau der bestimmende Narrenruf in Deutschland. Seine Kernzone reicht heute im Süden bis weit ins Hessische, im Norden von den Niederlanden über Dortmund bis ins Westfälische. Mittendrin liegt allerdings die Alaaf-Region mit den närrischen Metropolen Köln, Bonn und Aachen. Hin und wieder zu Verschmelzungen der Narrenrufe kommt es am närrischen Äquator wie in Rommerskirchen im Rhein-Kreis Neuss, wo man „Alau“  ruft, oder in Langenfeld im Kreis Mettmann, wo neuerdings ein „Helaaf“ kreiert wurde.

Bei der Suche nach den Ursprüngen des Helau-Rufs könnte ein Blick in die Kirchengeschichte helfen. Vielleicht handelt es sich nämlich um die Verballhornung einer anderen Lobpreisung: des kirchlichen Halleluja. Fast zwei Dutzend mal findet sich das hebräische Wort „halalū-jāh“ in den Psalmen des Alten Testaments, und ein paarmal taucht es auch im Neuen Testament auf. Genauer: in der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch des Neuen Testaments. Darin wird der Untergang Babylons thematisiert – jener Stadt, die nach der mittel­alterlichen Narrenidee das Reich der Narren verkörperte.

Anfangs wurde das Halleluja – der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner nannte den Lobgesang gern die „Erkennunngsmelodie des Christen“ – nur zu Ostern gesungen, ehe es das ganze Jahr über die Liturgie bereicherte. Spätestens zu karolingischen Zeiten aber entfernte man das Halleluja aus den Gottesdiensten der Fastenzeit. Zu der gehörte damals auch eine Vorfastenzeit, die der am Aschermittwoch beginnenden fleischlosen Fastenzeit vorgeschaltet war. 

Diese Vorfastenzeit sollte den Übergang von der festlichen Weihnachtszeit, die früher bis Mariä Lichtmess am 2. Februar währte, in die von Buße und Einkehr bestimmte fleischlose Fastenzeit erleichtern. Sie begann am neunten Sonntag vor Ostern, den die Kirche Septuagesima nannte. Offiziell gab es sie bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, seitdem nur noch in Form außerordentlicher Riten. In der evangelischen Kirche, wo sie Vorpassionszeit heißt, wurde sie – weil sich Weihnachtszeit und Vorfastenzeit wegen des variablen Ostertermins manchmal überschneiden konnten – erst kürzlich neu geregelt.   

Der Abschied vom Halleluja wurde im Laufe der Zeit feierlich ausgestaltet. Weil man sich aber über den Zeitpunkt, wann der Lobgesang zu verstummen habe, nicht einigen konnte, legte ihn Papst Alexander II. (1061 bis 1073) verbindlich für die erste Vesper am Vorabend des Sonntags Septuagesima fest. „Wir verabschieden uns vom Alleluja wie von einem lieben Freund, den wir vielmals umarmen und auf Mund, Kopf und Hände küssen, bevor wir uns von ihm trennen“, schrieb im 13. Jahrhundert ein Bischof.

Besondere Zeremonien

Obwohl Papst Alexander II. die Gläubigen gebeten hatte, den Abschied vom Halleluja-Gesang nicht eigens zu markieren, entwickelten einige Gemeinden vor allem in Frankreich besondere Abschiedszeremonien. Im Stundengebet von Auxerre etwa wurde jedem folgenden Halbvers des Psalms 148 („Halleluja! Lobet im Himmel den Herrn, lobet ihn in der Höhe!“) ein Halleluja mehr angehängt, sodass allein dem letzten Vers ganze 28 Halleluja folgten. 

Symbolisch gestorbenes Halleluja

Richtig theatralisch verabschiedete man das Halleluja im 15. Jahrhundert in Toul. Dort organisierten die Chorjungen eine Prozession, in deren Rahmen sie einen Sarg mit dem symbolisch gestorbenen Halleluja singend zu Grabe trugen und ihn mit Weihwasser besprengten. In Chartres peitschten die Kinder nach dem letzten Abschiedsruf auf das Halleluja zwölf Kreisel aus dem Chor der Kirche auf den Vorplatz und vertrieben so symbolisch den Lobgesang aus der Kirche, der erst mit der Osternacht zurückkehren sollte. In Paris trug man eine mit „Alleluia“ beschriftete Strohfigur aus dem Chor der Kirche auf den angrenzenden Friedhof, wo sie unter letzten Halleluja-Rufen verbrannt wurde. 

Bis in die frühe Neuzeit gab es solche Abschiedszeremonien zu Beginn der Vorfastenzeit, die auch ersten närrischen Rufen Pate gestanden haben könnten. Ideengeschichtlich hätten sie durchaus Sinn ergeben, war der Narr im Mittelalter als Leugner Gottes doch immer auch blasphemisch. Warum also sollte er sein eigenes Fest und seine Repräsentanten nicht auch mit jenen Worten hochleben lassen, die einst nur Gott verherrlichten?

Beweise dafür wird es vorerst keine geben – nur Mutmaßungen und Indizien. Alte Bräuche wie im Eifelstädtchen Blankenheim zum Beispiel, wo seit vielen Jahrhunderten Fastnacht gefeiert wird. „Juh-Ja, Juh-Ja, Kribbeln in d’r Botz! Wer dat net hät, dä es nix notz“, heißt es dort heute noch beim traditionellen Geisterzug am Vorabend des Karnevalsonntags. 

Hokuspokus in der Kirche

Auch das früher im Rheinland weitverbreitete Fastnachtslied mit der Eingangszeile „Ajuja, Ajuja, jetz geiht et widder Ajuja, jetz geiht et loss“, nährt den Verdacht, dass das heutige Helau aus dem hebräischen halalū, das zum Halleluja wurde, verballhornt sein könnte. Ganz ähnlich könnte das lateinunkundige Kirchenvolk die im Gottesdienst gefeierte Wandlung des Brots in den Leib Christi missverstanden haben. Die Worte des Priesters „Hoc est enim corpus meum“ (Das ist mein Leib) tat es als „Hokuspokus“ ab.

Günter Schenk

Der Autor

ist Kulturpreisträger der Deutschen Fastnacht und Verfasser mehrerer Bücher über Karneval und Fasching. Seit vielen Jahren schreibt er für unsere Zeitung.